Thomas A. Schneider - Gedanken

Thomas A. Schneider - Gedanken

 

"Der ganze Kreisler für alle" - mit diesem Ziel vor Augen hat Thomas A. Schneider 2012 damit begonnen, eine möglichst umfassende Niederschrift der Kreisler-Lieder in professionellem Notensatz zu realisieren. Inzwischen sind 8 Notenbände im Mainzer Schott Verlag erschienen.

Foto: Sabine Streck 2017, mit freundlicher Genehmigung des Schwarzwälder Boten, Villingen
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Georg Kreisler – Geheimnis und Offenbarung
Gedanken von Thomas A. Schneider

Wer kennt ihn nicht? Seinen düster-erhellenden Musikhumor?
Wer kennt sie nicht? Seine sprachlich bewegten Drahtseilakte?
Wer kennt es nicht? Sein Suchen zwischen Bekenntnis und Erkenntnis?

Georg Kreisler muss es gespürt, durchlebt und erlitten haben, was Sprache und Musik vermögen. Trotz Vertreibung aus seiner Muttersprache hat er in die deutsche Sprache zurückgefunden, um zu erzählen, wie es um seine Seele bestellt ist. Das wird ihm nicht leicht gefallen sein, denn die großen Chancen seiner Jugend sind der bestialischen Gewalt der Nazis zum Opfer gefallen. Dies war ein mehrfacher Verlust: Heimat, Muttersprache, Freundschaften, Jugendzeit, Berufsaussichten - alles war schlagartig verloren. Das Entrinnen, das nackte Überleben, die Erfahrung, schon in jungen Jahren Barbarei, Ignoranz und Ausgrenzung erfahren zu müssen, muss von entsetzlichem Leid durchdrungen gewesen sein.

Und doch: Seine Liebe hat sich durchgesetzt. Seine Liebe zur Sprache, zur Musik und zur Hoffnung auf eine bessere Welt, Grundelemente menschlicher Existenz. Und er hat es gehalten wie Heinrich Heine: Er hat – allen Widerständen zum Trotz – tapfer deutsch geschrieben und gedichtet, in einer Sprache, die jahrhundertelang von Herrschern und Heerführern missbraucht und schließlich von den perversesten Propagandisten des Hasses in die Gosse getreten wurde. Nach dem Untergang der brutalen Nazidiktatur hat Georg Kreisler mit großer Kraft und Genialität einen literarisch wesentlichen Beitrag zur Rehabilitation seiner Muttersprache und gleichzeitig einer tief empfundenen Humanität geleistet.

Und damit nicht genug: Er hat seine Musik hinzugefügt, mehr als nur eine Zugabe, die wir bestens genießen können. Folgen wir ihm, können wir auch aus seinem Schmerz Auslösung, Nachdenken und letztlich Heiterkeit in unsere Herzen leiten, die uns unsere Verzagtheit vergessen lassen. Wunderbar: Wieder ist es dieser unbesiegbar-freche, überwölbende Humor, diese Eigendistanz, diese Selbstironie, die uns immer wieder Trost schenken. Auch den Trost der Gewissheit, dass sogar wir einfachen Menschen von der Straße denken, fühlen und wissen können und dürfen, was der ganzen Menschheit Nutzen bringt. Und wir ahnen es: Georg kann uns durchs ganze Leben begeleiten. So öffnet sich uns langsam seine Welt, eine Welt, der auch wir angehören sollten.

Seine Achterbahn ist auch die unsere, voll Furcht ebenso wie voll Nervenkitzel, voll Geruhsamkeit wie voll Hektik, voll Freude wie voll Schmerz. Wir wissen es ja: Liebe kommt aus dem Bauch und möchte im Hirn legitimiert werden. Schieben nicht auch wir unseren Schmerz in den Witz, um uns Entlastung zu verschaffen? Georg Kreisler hilft uns dabei, dies human zu bewerkstelligen.

Und wieder spüren wir seine Nähe: Er schmiegt sich an uns, ohne uns die Luft zum Atmen zu nehmen. Er kann auf geistvolle Weise das ausdrücken, wovon wir glauben, schweigen zu müssen. Wir nehmen ihn wahr und wollen uns ihm anschließen, weil er den Drahtseilakt zwischen Bauch und Hirn immer wieder so elegant und menschenfreundlich bewältigt. So kann uns Georg Kreisler immer wieder in eine neue Runde der Erkundung seiner Wahr- und Weisheiten einladen.

Georg war ein Mahner, ebenso streng wie verständnisvoll, der in Sprache und Musik seine heimatlichen Chancen sah und diese genutzt hat, um seinen Mitmenschen vielfältige Möglichkeiten des Fühlens und Denkens aufzuzeigen. So ist er zu einem Bild geworden, das zu unserem Spiegelbild werden kann.

Zu seinen schönsten Gedanken gehören die Worte: „Man muss sich nur ein bissel mehr als Andre plagen, und sich nicht leid tun, sonst verliert man die Partie.“ Und: „...wenn man einmal sagt: ,Ich geh’ nach Hause’, sich höchstwahrscheinlich in der Ausdrucksweise irrt.“ Beide Gedanken formuliert er auf höchst versöhnliche Weise in seinem Chanson „Weder noch“ und nimmt dabei sogar seine eigene, extrem ausgeprägte Sensibilität zurück. Und in „Zu leise für mich“ formuliert er: „Irgendjemand drüben treibt etwas, meldet sich – aber zu leise für mich“. Vielleicht hat er bisweilen zu viel Unerträgliches erlebt...
Zugegeben: Auch Georg hat gelegentlich nur Dampf abgelassen. Er konnte hin und wieder bissig und scharfzüngig sein, gleichzeitig aber auch durchaus stilvoll, elegant und letztlich nicht ultimativ. Das letzte, allgemein verbindliche und für alle Menschen verpflichtende Wort zu führen, stünde einem eingefleischten Anarchisten, wie er es war, ja auch gar nicht gut an. Und wenn wir ehrlich sind, müssen wir alle gestehen: Das Leben ist doch eine immerwährende Lotterie - ein Spiel zwischen Gewinn und Verlust, ganz nach den Gesetzen des Zufalls – Anarchie eben. Wir sollten es ebenso genießen, wie Georg Kreisler es tat.

Wir können uns ihm in derselben Weise nähern, wie er sich uns genähert hat: Mit Vorsicht, Umsicht und Rücksicht. Er hat gezeigt, dass unsere Gefühle und Gedanken nicht aller Welt bekannt und schon gar nicht für alle anderen bedeutsam und angenehm sind. Aber sie sind da, und Georg ruft uns unerschrocken und hellsichtig dazu auf, alles, was uns in Empathie umtreibt, in die Freiheit zu entlassen, um Frieden mit uns und unseren Mitmenschen zu schließen. Dabei zeigt er uns eindringlich, dass dieser Frieden keinen Einschluss in unsere eigene Eitelkeit, sondern Aufschluss eigener Talente und damit Aufbruch in bessere Welten bedeutet.